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Interviews mit Azubis
Richard Bruse – Auszubildender zum Informatikkaufmann am Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin

Richard besitzt aufgrund einer Atrophie des Sehnervs nur noch 30% seiner Sehstärke. Zur Ausbildung beim Berufsbildungswerk ist er auf einigen Umwegen gelangt – und kann so gut einschätzen, was den Weg in den Beruf für Jugendliche mit Behinderung leichter macht.

Interview mit Richard Bruse

Richard, erzähl uns doch bitte ein bisschen was über deinen Weg zum Informatikkaufmann hier im ALBBW. Seit wann hat dir deine Sehschwäche zu schaffen gemacht, und was hat das für deinen Berufsweg bedeutet?

RB: Ich wusste eigentlich schon immer, dass ich zumindest eine eingeschränkte Sehfähigkeit habe. Seit der dritten Klasse hatte ich eine Brille. Davor ist es nicht aufgefallen. Ich hab mich damit bis zur 10. Klasse irgendwie durchgekämpft.
Ich habe in der ersten Reihe gesessen, es ging mehr schlecht als recht, aber ich dachte nicht, dass ich ernsthaft sehbehindert bin. Vom Stoff her kam ich gut durch, aber ich konnte eben schlecht von der Tafel lesen. Ich weiß nicht mehr, wie es ging, aber es ging irgendwie. Erst als ich meine erste Lehre als Elektroniker für Betriebstechnik abbrechen musste, wurde es wirklich klar, dass ich sehbehindert bin. Das kam vorher gar nicht so raus.

Das heißt, du kamst aus der Realschule und hast dich normal um einen Ausbildungsplatz beworben.

RB: Mein Zensurenschnitt war eher mittelmäßig, aber ich habe von allen Firmen Zusagen bekommen. Am Anfang hat alles direkt geklappt. Dann habe ich als Azubi im Betrieb gearbeitet, und es wurde nach und nach schwieriger: Als Elektroniker musste ich zum Beispiel die Schaltpläne für die verschiedenen Maschinen ziemlich dicht vor mein Gesicht halten, um sie zu entziffern. Das war sehr anstrengend und ist den Leuten da irgendwann aufgefallen. Ich habe auch eine Schwäche in der Farbwahrnehmung und kann rot und grün nicht mehr unterscheiden …

… was natürlich ein Knock-Out-Kriterium für Elektroniker ist …

RB: … genau, wegen der farblichen Kennzeichnung von Kabeln und Schaltplänen. Der Betriebsarzt hatte das bei der Voruntersuchung gar nicht diagnostiziert. Am Ende wurde ich ziemlich schnell rausgeworfen, und dann stand ich ohne Lehrstelle da. Aus meiner Sicht konnte ich alles machen, aber ich hatte eben die Diagnose, dass ich nicht Farben sehen kann. Ob ich selbst meinte, ich fühl mich gut oder ich kann das verantworten, das hat dann nicht mehr gezählt. Ich bin leider arglos in die Situation reingelaufen und dachte, die würden mir sagen, wenn es ein Problem gibt. Ich hab mich halt gefreut, dass ich ´ne Ausbildung hatte.

„Aus meiner Sicht konnte ich alles, aber wegen meiner Diagnose durfte ich nicht.“

Wie bist du mit dieser schwierigen Situation umgegangen?

RB: Das war schon ein Schock. Drei Monate war ich erst mal zu Hause und hab nicht gewusst, was ich machen soll: Ich durfte kein Praktikum machen und habe mich dann entschieden, ein Freiwilliges Soziales Jahr beim DRK-Blutspendedienst in Neubrandenburg zu absolvieren. Das FSJ ist unabhängig von der Arbeitsagentur durch die EU gefördert, und das hat funktioniert.

„Wenn man in der Luft hängt, sollte man unbedingt etwas Sinnvolles machen.“

Ist das eine empfehlenswerte Strategie, oder war das ein verschenktes halbes Jahr, weil es ja nicht direkt zur Ausbildung gehört?

RB: Nein, das war ein super halbes Jahr. Wenn man in der Luft hängt, ist es enorm wichtig, einfach morgens aufzustehen und etwas zu tun zu haben, unter Leute zu kommen und was Sinnvolles zu machen.

Ist dann Hilfe von außen gekommen, durch die Reha-Beratung oder etwas Ähnliches?

RB: Die Diagnose, dass ich sehbehindert bin, hat für mich zunächst nichts geändert. Ich hatte dann eben den Behindertenschein. Weiter kam da zunächst nichts, von Amts wegen. Ich war nicht behindert genug, um in eine Rehamaßnahme zu kommen, und zu behindert, um meinen Beruf zu lernen.
Glücklicherweise hat sich meine Mutter sehr engagiert, ist von Amt zu Amt gelaufen und hat mich mitgenommen zu einer Blindenschule. Wir haben uns dort beraten lassen. Ich hatte den Wunsch, Informatik zu lernen, und deshalb haben sie mich nach Marburg an die Deutsche Blindenstudienanstalt verwiesen. Dort war ich dann zu einer Arbeitserprobung. Das ist so etwas wie ein Assessment für ein bestimmtes Berufsbild. Ich hätte dort auch direkt meine Ausbildung machen können. Aber das wollte ich nicht, weil die Leute dort wirklich blind sind – alle, auch die Lehrer, und ich war der einzige Sehende in einem Raum voller Blinder.

Dir sieht man es nicht an, dass du ein Problem mit deinen Augen hast.

RB: Meine Augen an sind ja auch völlig in Ordnung. Ich habe so etwas wie einen Schwund des Sehnervs, und leider gibt es dafür weder eine Therapie noch Rehabilitation.
Die BLISTA kam als Ausbildungsort also für mich nicht in Frage. Sie haben mich zu Siemens geschickt nach München, wo damals ein Modellprojekt zur Ausbildung behinderter Jugendlicher starten sollte. Ich sollte mir aussuchen, ob ich nach München oder nach Berlin will, in Berlin sagte man mir dann aber, dass sie seit Jahren schon nicht mehr ausbilden im Informatikbereich.
Der Tipp mit dem ALBBW kam dann von einem Kollegen bei Siemens. Ich hab mir gedacht, ich mach hier die Ausbildung und geh dann zu Siemens, und möglicherweise unterstützen die mich, weil sie mich ursprünglich ja haben wollten.

Das heißt, dein Ausbildungsweg war von vielen Zufällen bestimmt – du hast irgendwo mit jemandem gesprochen, der irgendwo noch jemanden kannte …

RB: Ja, das war von Zufällen geprägt, und dadurch, dass wir uns selber gekümmert haben. Ich war halt auf der „Blindenschiene“, und dementsprechend waren die Empfehlungen, die zum Beispiel von der Arbeitsagentur kamen. Bestimmte Alternativen waren gar nicht bekannt, das musste ich dann raussuchen und nachweisen, dass die Ausbildung dort gleichwertig ist.

Beschreib doch bitte mal das Berufsbildungswerk als Ausbildungsort im Gegensatz zur klassischen dualen Ausbildung!

RB: Das ist im Grunde das Gleiche in grün, nur an einem anderen Ort. Ich wohne direkt 200 Meter entfernt von hier, und muss quasi nur rüber laufen, und hier habe ich meine Ausbildung und eine Etage darüber meine Berufsschule. Ausbildung und Berufsschule sind aber wie sonst auch getrennt, und ich bekomme den ganz regulären Facharbeiterbrief. Ich kann mich am Ende auf jede ausgeschriebene Stelle für einen Informatikkaufmann bewerben, und mein Arbeitsplatz würde von der Arbeitsagentur mit den Hilfsmitteln eingerichtet werden, so wie er hier ausgestattet ist.

Macht dir die Ausbildung Spaß? Ist es fachlich das, was du dir vorgestellt hast?

RB: Aber ja, ich trauere dem Elektroniker nicht mehr hinterher. Ich freue mich, hier zu sein, ganz offen, wo alle wissen, dass ich sehbehindert bin. Ich habe meine Ausstattung für den Arbeitsplatz hier und fühle mich wohl. Die Toleranz in der Gruppe ist auf jeden Fall höher. In der Schule war ich der Einzige, der nicht „normal“ war, und hier haben halt alle irgendetwas.
Ich habe letztens hier einen kompletten Rechner selbst zusammengebaut – und er funktioniert. Ich trau mir alles zu, und es läuft auch. So lange ich meine unterstützende Technik habe, und die habe ich mir auch selbst am Arbeitsplatz aufgebaut, wäre es im Grunde egal, wo ich lerne – ob im Berufsbildungswerk oder im Betrieb.

„Ob im Berufsbildungswerk oder im Betrieb – mit Hilfe der richtigen Technik zur Unterstützung trau ich mir alles zu.“

Hast du Empfehlungen für junge Menschen in deiner Situation? Etwas, was du Arbeitgebern gern mit auf dem Weg geben würdest?

RB: Ich hätte es einfach früher wissen müssen. Rückblickend hätte ich wohl viel eher um eine Diagnose ersuchen müssen. Aber das ist auch nicht so einfach. Man will ja nicht wahrhaben, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte.
Auf jeden Fall macht es einem die Dinge einfacher, wenn man sich nicht einem „Normal“-Maßstab anpassen muss, sondern Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden. Das ist aber eine sehr persönliche Sache, die jeder für sich realisieren muss.

Wir danken Richard Bruse und dem Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin für das Gespräch.

Sabine Prill – Auszubildende zur Fachinformatikerin für Systemintegration bei der Deutschen Rentenversicherung Bund

Sabine kann wegen Taubheit auf einem Ohr bei Hintergrundlärm schwer hören, und durch eine Rückgratverkrümmung nicht über lange Zeit auf starren Stühlen sitzen. Im Interview erzählt sie uns, was Fachinformatiker lernen, und warum man mit offenen Gesprächen viel erreichen kann.

Interview mit Sabine Prill

Sabine, wie bist du auf die Idee gekommen, es mit der Informatik zu versuchen?

SP: Ich habe ohnehin immer ziemlich viel Zeit am Rechner verbracht, und irgendwann habe ich es nicht mehr eingesehen, viel Geld für einen neuen Rechner auszugeben, und habe dann eben angefangen, selber zu basteln.
Mit meiner Beraterin bei der Arbeitsagentur habe ich überlegt, was an Berufen für mich in Frage kommt, und viel ist da von vornherein rausgefallen: langes Stehen, schweres Heben, das kam nicht in Frage. Wir haben uns dann gefragt, was kann ich, was mache ich eigentlich gerne, und haben von dort aus weiter eingegrenzt. Anwendungsentwicklung fand ich auch interessant, aber ich bin dann doch eher so der Typ Bastler mit dem Schraubenzieher.

Stichwort Schraubenzieher: Was macht man als Fachinformatiker Systemintegration eigentlich genau?

„Man muss die technische Seite beherrschen, aber auch Kundenservice machen.“

SP: Am Computer sitzen gehört natürlich dazu; aber die beruflichen Möglichkeiten sind extrem weit gefächert: Die Einen kümmern sich um spezielle Serveranlagen, also von der Software her alles einzurichten, zu installieren, am Laufen zu halten; die Nächsten sind dann eher diejenigen, die die Rechner zusammenbauen, die Arbeitsplätze warten und dort dann schauen, dass alles funktioniert. Dazu gehört auch alles zwischen Kunde und Server, die Verteilerstationen müssen geplant, eingerichtet und gewartet werden. Man muss gleichzeitig diese technische Seite beherrschen, aber auch Kundenservice machen oder eine Webseite programmieren.

Wir machen solche komplexen Projekte auch schon in der Ausbildung. Da kommen ganz praktische Anfragen aus einzelnen Abteilungen, so dass wir die Möglichkeit haben, da was auszuprobieren. Eben „learning by doing“! Erst letztens haben wir eine komplette Webseite gebaut, von der Einrichtung des Servers bis zum letzten Pixel.
So etwas kann auch schon mal fünf Wochen dauern; dazu will dann noch die Dokumentation geschrieben werden, das Ganze soll möglichst anwenderfreundlich sein, gerade wenn die Kunden sagen: „Wir haben keine Ahnung davon, macht uns das Ganze so, dass es einfach zu bedienen ist.“ Technische Details für Laien verständlich machen, da hab ich auch ein besonderes Talent dafür. Ich habe dazu den Vorteil, dass ich zuvor im Einzelhandel schon eine Ausbildung in einem sehr kundenorientierten Bereich gemacht habe.

Kannst du ein bisschen die Kooperation schildern zwischen Ausbildungsbetrieb und Berufsschule?

SP: Zwei Wochen sind wir im Betrieb und dann eine Woche in der Berufsschule. Das ist in einzelnen Betrieben auch unterschiedlich; wir haben hier den Vorteil, dass wir im Betrieb nochmal viele Seminare haben, wo wir geschult werden zu bestimmten Themengebieten. Dazu kommen Praxiszeiten, wie vorhin schon beschrieben, wo wir auch längerfristige Projekte durchführen.

Was für unterstützende Angebote bekommst du für deine gesundheitlichen Einschränkungen?

„Schwerbehindertenvertretung und Betriebsarzt waren eine große Hilfe.“

SP: Ich habe hier bei der DRV einen Spezialstuhl, den ich leider in der Berufsschule nicht benutzen kann – den Stuhl bekomme ich von der Kasse nicht zweimal, wir müssten ihn also jedes Mal wochenweise rübertransportieren.
Da wir 29 in der Klasse sind und es da schon mal etwas laut wird, habe ich die Möglichkeit, mich bei Lärm woanders hinzusetzen, um da in Ruhe meine Aufgaben zu erledigen. Das ist nicht die ideale Lösung, aber es geht.
Bei mir hat sich das Verfahren zur Anerkennung der Schwerbehinderung leider ein ganzes Jahr hingezogen; die Schwerbehindertenvertretung hier im Haus hat mich dabei sehr aktiv beraten und konnte viel klären, und der Betriebsarzt war eine große Hilfe. Wie füllt man bestimmte Anträge aus, wo gibt es Hilfeleistungen, all die Detailfragen, die über den Merkzettel vom Versorgungsamt hinausgehen.

Was denkst du: Ist eine Informatikausbildung besonders geeignet für Jugendliche mit schweren Behinderungen?

SP: Das würde ich schwer behaupten! Die ganze Sparte ist spannend, und man hat die Möglichkeit, je nachdem, welche Einschränkungen da sind, sich was Passendes auszusuchen. Jemand, der nicht schwer heben kann, wird beispielsweise keine Server durch die Gegend tragen, aber einrichten kann er sie. Hier wird auch sehr darauf geachtet, dass alles an Arbeitsmaterialien barrierefrei gestaltet ist und die Arbeitsplätze dementsprechend eingerichtet sind. Wenn man es braucht, kann man Schreibzeitverlängerungen bekommen und die Ausbildung zeitlich etwas strecken, aber in meinem Falle gebe ich die Arbeiten meistens eher früher ab!
Die Ausbildung bringt manchmal Durststrecken mit sich, wo es sehr theoretisch wird, aber wir machen auch so viel, was man praktisch anwenden kann. Es ist so vielfältig, da ist eigentlich für jeden was dabei.

Irgendwelche Tipps für andere in deiner Situation?

„Man muss sich auch trauen, zu sagen: So funktioniert das nicht.“

SP: Das wichtigste ist meiner Meinung nach Kommunikation! Ausbilder sollten konkret nachfragen, denn die Situation ist je nach Behinderung so verschieden, dass es keine Patentrezepte gibt. Hilfe anbieten, möglichst unbürokratisch, individuell und flexibel.
Und von Seiten des Azubis her hilft es natürlich dem Betrieb, wenn er was Konkretes über die Probleme erfährt, auch wenn das sehr persönlich ist und deshalb anfangs schwer fällt. Es hilft nichts, ein halbes Jahr mit Rückenschmerzen dazusitzen, weil man mit den Stühlen nicht klarkommt. Da muss man sich trauen, zu sagen: „So funktioniert das nicht“. Und manchmal sind es nur Kleinigkeiten – eine andere Birne in der Schreibtischlampe, Sonderregelungen bei Pausenzeiten -, mit denen man extrem viel erreichen kann.

Wir danken Sabine Prill, der Deutschen Rentenversicherung und dem Oberstufenzentrum Informations- und Medizintechnologie für das Gespräch.

David Liebs – Auszubildender zum IT-Systemelektroniker bei der Deutschen Telekom AG

David Liebs befindet sich im 1. Ausbildungsjahr zum IT-Systemelektroniker bei der Deutschen Telekom. David kann aufgrund einer Asperger-Störung die Mimik seiner Gesprächspartner schwer spiegeln – wir haben mit ihm darüber gesprochen, ob das in einem technischen Beruf überhaupt eine Rolle spielt.

Interview mit David Liebs

David, du machst im Telekom-Ausbildungszentrum in Berlin-Lichterfelde eine Berufsausbildung mit Abitur. Wie läuft so etwas ab?

DL: Bei der BMA haben wir jeweils 3 Monate Schule und dann 3 Monate Betriebseinsatz, immer im Wechsel. Ich werde zum IT-Systemelektroniker ausgebildet und erwerbe in den drei Ausbildungsjahren gleichzeitig das Fachabitur.

Wenn man gleichzeitig eine Ausbildung macht und ein Abitur, ist das eine besondere Belastung? Muss man mehr machen als ein „normaler“ Azubi oder „normaler“ Abiturient?

DL: Das hängt natürlich individuell davon ab, wie der Belastungsgrad einer Person ist. Also ich persönlich finde es nicht sehr belastend, gerade weil es halt ein bisschen abwechselnd ist: Abitur, also Schule, und dann wieder die drei Monate Betrieb. Es ist eher abwechslungsreich und entspannt.

Was machen eigentlich Systemelektroniker?

DL: Wir haben zwar jetzt speziell in der Ausbildung auch mit Programmieren zu tun, aber später verlegen wir dann hauptsächlich Kabel. Da wir die Verbindungen zu den Rechnern herstellen, müssen wir natürlich auch mit Rechnern umgehen können.

Du hast eine Form der Behinderung, die es dir schwer macht, auf nonverbale Kommunikation direkt zu reagieren, also auf Gesichtsausdrücke oder Gefühle, die sich im Gesicht spiegeln. Hast du das bei deinem Einstellungsgespräch thematisiert?

DL: Also eigentlich nicht. Es ist erst später aufgefallen. Aber im Einstellungsgespräch habe ich es nicht selbst angesprochen und man hat es auch nicht gesehen, schätze ich mal, sonst hätte man mich sicher auch danach gefragt.

„Ich hätte besser am Anfang direkt sagen sollen, wie sich meine Behinderung auswirkt.“

Spielt es denn für deinen Ausbildungs- und Lernalltag keine Rolle?

DL: Einerseits, weil wir mit Kunden zu tun haben. Da müssen wir halt auch ein bisschen überzeugend wirken. Aber andererseits auch im privaten Bereich: Mit den anderen Azubis muss ich ja auch auskommen.

Wie machst du das mit den Kundensituationen, wenn es für deine Ausbildung eine Rolle spielt, dass du mit Kunden kommunizieren musst?

DL: Ich habe es mir im Laufe der Jahre bewusst angeeignet, in bestimmten Situationen bestimmte Gefühle zu äußern, durch Gesichtsausdruck und Gestik und Mimik. Das wird im Kundengespräch vielleicht immer mal problematisch sein, weil es gelegentlich gezwungen aussieht, aber für meine weitere Berufsplanung sehe ich das nicht als schlimmes Problem. Und der IT-Branche will ich treu bleiben, speziell bei der Telekom will ich dann weiter arbeiten.

Patrick Brock – Auszubildender zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung bei der Deutschen Telekom

Patrick Brock ist Rollstuhlfahrer. Der 20jährige befindet sich im 3. Ausbildungsjahr zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung bei der Deutschen Telekom.

Interview mit Patrick Brock

Patrick, kannst du uns kurz schildern: Was machen eigentlich Anwendungsentwickler?

PB: Anwendungsentwickler programmieren Software oder passen vorhandene Programme auf den konkreten Bedarf an. An der Berufsschule lerne ich auch noch zum Beispiel Hardware-Sachen, und was zum Computer allgemein an Grundwissen gehört.

Erzähl uns was über deine Schullaufbahn!

PB: Ich kam in die 1. Klasse in der Förderschule. Da war ich nicht sehr begeistert von und habe mich versucht da rauszukämpfen, habe drei Jahre gekämpft, habe verschiedene Prüfungen abgelegt, musste zum Psychologen und Eignungstests machen. Dann kam ich endlich aus der Förderklasse raus und in eine normale Klasse. Ich habe dann leider zunächst nur den Förderabschluss gemacht, weil mir ein Punkt in der Prüfung gefehlt hat. Anschließend war ich noch mal auf der Privatschule und habe dort meinen mittleren Schulabschluss mit zwei bestanden.

Kannst du das noch mal kurz erklären, was das mit der Förderklasse auf sich hat? Das hört sich ja an sich positiv an.

PB: Also Förderklasse ist eigentlich nichts anderes, als dass man nicht den normalen Unterrichtsstoff macht wie in den anderen Klassen, sondern viel weniger machen muss, und man hat dafür auch mehr Zeit: Mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran und das ist halt das Schwierige: Dann einen richtigen Abschluss zu machen. Man hätte ja so viel nachzuholen, was man in den Förderklassen nicht geschafft hat.

Warum hast du dich nach dem Realschulabschluss für die Telekom entschieden, und wie verlief das Bewerbungsgespräch?

PB: Ich habe mich in vielen Firmen beworben und habe dort auch manchmal meine Behinderung verschwiegen in meinen Bewerbungen. Dadurch kamen mehr Bewerbungsgespräche zustande, als wenn ich meine Behinderung reingeschrieben hätte, gerade bei den kleinen Firmen.
Dann kam ich da rein, da haben die mich erst mal angeguckt mit riesengroßen Augen und haben gedacht, was kommt denn da jetzt für ein Alien um die Ecke. Und dann fing es gleich an mit, ach, wir sind ja gar nicht behindertengerecht. Dabei braucht man eigentlich gar nicht so viel, wenn man behindert ist. Man muss halt individuell gucken, was man braucht. Aber viele haben da viel zu viel Angst und nicht die Zeit dafür.

„Es kamen mehr Bewerbungsgespräche zustande, wenn ich meine Behinderung verschwiegen habe.“

Und wie war es bei der Telekom?

PB: Bei der Telekom habe ich meine Behinderung nicht verschwiegen, weil ich gedacht habe, die Firma ist ja groß genug, für die wird das nichts Abschreckendes sein. Und dann habe ich tatsächlich ein Bewerbungsgespräch bekommen und das ganz normal geführt. Die fanden das auch nicht schlimm. Dann musste ich rausgehen, dann haben sie sich beraten und dann haben sie mir gesagt, dass sie mich nehmen werden.

Du sagst, das fanden sie „nicht schlimm“. Spielt es denn bei deiner Ausbildung überhaupt eine Rolle, dass du gehbehindert bist?

PB: Doch, schon, weil wir verschiedene Einsatzorte haben und dann muss geguckt werden, welcher für mich passt oder nicht passt. Es muss auf jeden Fall ebenerdig sein oder so, dass ich überall hinkomme. Wenn es im 1. Stock ist, dann brauche ich einen Fahrstuhl. Und eine Behindertentoilette wäre nicht schlecht.

„Förderklassen sollten abgeschafft werden, so dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen arbeiten.“

Was meinst du generell: Schüler wie du mit einer körperlichen Behinderung, sind die in jedem Falle in einer Regelklasse und mit einem normalen Schulabschluss besser aufgehoben als in extra Fördereinrichtungen?

PB: Auf jeden Fall. Ich finde, die Förderklassen sollten abgeschafft werden, so dass Menschen mit Behinderung und ohne Behinderung zusammen arbeiten. Das merke ich ja jetzt auch immer wieder an meiner Schule: Die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sind gegenüber behinderten Menschen ganz anders und gucken die auch nicht mehr so an, wie in der Stadt da, die ganzen Blicke. Wenn man schon von Kind auf mit Menschen mit Behinderung zusammengearbeitet hat, das ist was ganz anderes, als wenn man die auf der Straße kennenlernt.

Und wie ist das Klima hier bei der Ausbildung?

PB: Das ist ganz locker. Ich bin auch nur ein ganz normaler Mensch, ich sitze nur im Rollstuhl, und das ist eigentlich ganz locker. Ich mache auch viel Spaß mit und wenn mal ein Witz über mich gemacht wird, dann ist das auch nicht schlimm, dann lache ich auch mit.

Erfahrungen von Ausbildungsbetrieben