
Die letzten Wochen haben das deutsche Schulsystem auf die Probe gestellt. Es wurde deutlich, dass die meisten Schulen auf die Umstellung zum digitalen Fernunterricht nicht ausreichend vorbereitet waren.
Viele Lehrkräfte haben mit kreativen Lösungen dazu beigetragen, dass digitaler Unterricht stattfinden konnte und dabei neue Plattformen und Werkzeuge erprobt. Die Schulen sollen jetzt schrittweise wieder den gewohnten Unterrichtsbetrieb aufnehmen. Nun bietet sich die Chance, die Erfahrungen aus den vergangenen Wochen weiterzuentwickeln und langfristig in den Schulalltag zu integrieren.
Die Öffnung der Schulen sollte kein erneuter Rückschritt für die Digitalisierung im deutschen Bildungswesen bedeuten.
Im Bitkom sind neue Anbieter genauso wie Mitglieder mit großer Nähe zu den klassischen Diensten vertreten. Unser Papier zeichnet daher mögliche Kompromisslinien vor:
Bund und Länder sind nun gefragt, eine geregelte Wiederaufnahme des Schulbetriebs zu ermöglichen und Investitionen in digitale Bildung zu verstärken. Dabei müssen folgende Punkte besonders fokussiert werden:
Insbesondere in der Anfangsphase der Schulöffnungen wird es zu einer Doppelbelastung für LuL kommen, sowohl Präsenzunterricht in den Abschlussklassen als auch weiterhin digitalen Fernunterricht für andere Klassenstufen anzubieten. Hierbei muss gewährleistet werden, dass alle SuS am Unterricht teilhaben können. Für den digitalen Fernunterricht muss unabhängig von sozialer Herkunft ein Endgerät zur Verfügung gestellt werden. Die dafür vom Bund bereitgestellten 500 Mio. Euro begrüßen wir. Allerdings wird ein Zuschuss von 150 Euro pro SuS dafür nicht ausreichen. Stattdessen schlagen wir ein „digitales Kindergeld“ in Höhe von 300 Euro vor. Nur so kann in nachweislich finanzschwachen Familien gewährleistet werden, dass Kinder mit den nötigen Endgeräten für den digitalen Fernunterricht ausgestattet sind. Eine solche finanzielle Unterstützung sollte alle drei bis vier Jahre erfolgen. Für die Auszahlung der Gelder braucht es einen strukturierten Prozess, der die Zuständigkeiten der Kultusministerien, Sachaufwandsträger sowie der Sozialkassen klar definiert. Darüber hinaus sollten Schulträger in diesen Prozess eingebunden werden, da diese die Bedarfe der SuS am besten einschätzen können. So kann gewährleistet werden, dass die finanziellen Mittel zur Anschaffung von Endgeräten zügig und unkompliziert bei betroffenen Familien ankommen. Insbesondere im Bildungsbereich bietet die Digitalisie-rung enorme Potenziale, um eine Chancenangleichung für sozial benachteiligte Gruppen, darunter auch SuS und LuL mit Behinderungen oder mit Migrationshintergrund, herzustellen. Hier machen sich barrierefreie digitale Angebote und passende Bedie-nungshilfen bezahlt und sollten auch weiter ausgebaut und gefördert werden.
Lehrkräfte können den Einsatz digitaler Werkzeuge und Bildungsinhalte über die Corona-Zeit hinaus nur dann problemlos erproben und langfristig etablieren, wenn Be-denken über rechtliche Grauzonen aus dem Weg geräumt werden. An dieser Stelle wäre es zu begrüßen, wenn Schulen Hilfestellungen zur Beurteilung der Datenschutzkonfor-mität und Qualität von Online-Tools bekämen. Verlässliche Auskünfte und Anleitungen darüber, welche Werkzeuge Qualitätsstandards erfüllen und rechtssicher im Unterricht eingesetzt werden können, würden Hürden im digitalen Unterricht abbauen. Die Ent-scheidungsverantwortung darf hier nicht alleine bei den LuL liegen. Gleichzeitig muss den Schulen ein Handlungsspielraum eingeräumt werden. Nur durch eine gewisse Feh-lertoleranz und die notwendige Flexibilität können innovative Lernkonzepte entstehen.
Digitale Lernplattformen und Bildungsinhalte, die von Bund und Ländern bereitgestellt wurden, sollten nicht als Corona-Ausnahmelösungen betrachtet werden, sondern lang-fristig und nachhaltig Einzug in Schulen erhalten. Learning Management Systeme haben sich in den letzten Wochen bewährt. Diese können für die Bereitstellung und Sammlung von Lehrmaterialien sinnvoll eingesetzt werden. Insbesondere in der Übergangszeit, in der noch nicht alle in die Klassenzimmer zurückkehren dürfen, können so alle SuS auf Lernmaterialien zugreifen. Zudem sollten digitale Lerninhalte als ergänzendes Angebot gefördert werden. Die kurzfristig zur Verfügung gestellten 100 Millionen Euro aus dem Digitalpakt zur Anschaffung von Online-Lernplattformen stellen eine Initialinvestition dar. Hier werden zusätzliche, vom Digitalpakt unabhängige, finanzielle Mittel benötigt, um eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen. Die Lizenzkosten für qualitativ hochwer-tige Lernplattformen sowie digitale Bildungsinhalte sollten langfristig mit von Bund und Ländern getragen werden. Für die Übergangsphase des parallelen Präsenz- und Fernun-terrichts können 100 Euro pro SuS zur Anschaffung digitaler Lerninhalte, Lizenzen und Plattformen ein hybrides Unterrichtsmodell begünstigen.
Eine erfolgreiche Digitalisierung im Bildungswesen ist nur mit der entsprechenden Hardware möglich ist. Damit Schulen künftig die notwendigen Endgeräte und Infra-strukturen auch vor Ort zur Verfügung stehen, müssen die Digitalpaktgelder zügig flie-ßen. Insbesondere in der jetzigen Ausnahmesituation sollte eine unkomplizierte und un-bürokratische Anschaffung der benötigten Hardware und Bildungsinhalte ermöglicht werden. Hier sind die Bundesländer gefragt, bessere Hilfestellungen und Beratungsan-gebote für die Erstellung von Medienentwicklungsplänen sowie die Hardware- und Bil-dungsmedien-Bedarfsermittlung für Schulträger bereit zu stellen. Die Zeit der schritt-weisen Öffnung der Schulen mit eingeschränktem Präsenzunterricht sollte genutzt wer-den, um die notwendige technische Infrastruktur in den leerstehenden Schulgebäuden zu installieren.
Die Lehrkräfte haben in den letzten Wochen viel Kreativität und Flexibilität an den Tag gelegt. Während einige sich innerhalb des Lehrerkollegiums weitergebildet haben, ha-ben andere vieles selbständig ausprobiert. Um das Interesse und Know-how für digitale Bildung weiterhin zu fördern und auszubauen, sollten Digitalkompetenzen als ver-pflichtendes Fortbildungsmodul im Schulgesetz verankert und finanziell gefördert wer-den. Nur so können LuL befähigt werden, digitale Lernwerkzeuge und Plattformen sinn-voll anzuwenden. Es muss dafür gesorgt werden, dass insbesondere Online-Weiterbildungen etabliert werden. Die Beantragung solcher Angebote sollte unbürokra-tisch und digital erfolgen.
Download „Schrittweise Schulöffnungen für digitalen Fortschritt nutzen“