Dr. Ralf Wintergerst:
Liebe Claudia, erstmal vielen Dank, dass wir heute diesen Podcast aufnehmen können. Ich freue mich drauf.
Claudia Plattner:
Ist mir ein Vergnügen, lieber Ralf. Es ist immer klasse, mit dir auf irgendwelchen Bühnen zu stehen, Podcasts zu machen oder Ähnliches. Ich freue mich genauso drauf wie du. Legen wir los.
Dr. Ralf Wintergerst:
Ja, wir haben schon ein bisschen Übung. Ich fange mal an: Du bist seit dem 1. Juli 2023 die Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, kurz BSI, und setzt dich damit maßgeblich für die Cybersicherheit in Deutschland ein. Wenn du zwei Jahre zurückblickst, kannst du schon ein Resümee ziehen? Gibt es etwas, das du besonders hervorheben würdest?
Claudia Plattner:
Ja, definitiv. Wir haben schon viel erreicht. Ich freue mich darüber. Vor allem haben wir geschafft, in vielen Bereichen echte Veränderungen anzustoßen – bei modernen Technologien wie Cloud, KI, Quantencomputing, aber auch im Zuge von NIS 2. Ich merke, dass die Menschen zunehmend positiv reagieren. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.
Dr. Ralf Wintergerst:
Du warst ja vorher schon in sicherheitskritischen IT-Umfeldern tätig – als IT-Generaldirektorin der EZB oder CIO bei DB Systel. Wie hat dich das auf deine Rolle beim BSI vorbereitet?
Claudia Plattner:
Ja, einiges. Ich komme ursprünglich aus der Wirtschaft, aus dem Finanzbereich, dort eher aus einem mittelständischen Unternehmen. Dann zur Bahn, der erste Kulturschock: Riesenunternehmen, Staatsunternehmen. Danach zur Europäischen Zentralbank, eine – wenn auch kraftvolle – Behörde mit hoher Risikoaversion. Und jetzt das BSI. Mein Lebenslauf hat mich konsequent an das Thema Sicherheit geführt. Ich war immer zwischen „IT bauen“ und „IT absichern“ unterwegs. Das war eine gute Vorbereitung.
Dr. Ralf Wintergerst:
Wir leben in einer Zeit mit einer völlig anderen Bedrohungslage als noch vor zehn, zwölf Jahren. Besonders der Ukraine-Krieg zeigt, wie sehr auch Europa im Fokus steht. Wie beurteilst du die gesamte Bedrohungslage, speziell mit Blick auf Deutschland?
Claudia Plattner:
Früher war Sicherheit ein Randthema, heute ist es maßgeblich. Das ist richtig so! Denn die Bedrohungslage ist und bleibt sehr angespannt. Wir haben viel Nachholbedarf. Die Schäden sind enorm – Bitkom hat über 200 Milliarden Euro für Cybercrime gemeldet, mit weiter steigender Tendenz. Auch unsere eigenen Zahlen zeigen: Wir sind nicht gut genug geschützt.
Dr. Ralf Wintergerst:
In der Wirtschaftsschutzstudie sprechen wir von 290 Milliarden Gesamtschaden, davon über 200 Milliarden durch Cyberangriffe. Was sind die Angriffe, die deutsche Unternehmen am stärksten treffen?
Claudia Plattner:
Vor allem Ransomware. Firmen stehen Montagmorgen vor gesperrten Systemen und Lösegeldforderungen. Das kann existenzbedrohend sein. Wir haben viele Unternehmen, die das Geld bezahlen. Daneben ist Spionage wichtig, besonders bei Hightech-Unternehmen und natürlich auch bei kritischer Unfrastruktur. Und immer, wenn Angreifer einmal im System sind, ist auch Sabotage nur „zwei Klicks“ entfernt.
Dr. Ralf Wintergerst:
Bitkom und BSI fordern beide, dass Unternehmen 20 Prozent ihres IT-Budgets in Cybersicherheit investieren. Wie schaust du darauf und die Einstellung der deutschen Unternehmen?
Claudia Plattner:
Die Zahl gibt eine gute Orientierung. Entscheidend ist aber, wie investiert wird – und dass das Thema auf CEO-, CFO- und COO-Ebene ankommt. Mit NIS 2 wird Cybersicherheit klar zur Pflicht der Geschäftsführungen und Aufsichtsräte. Es geht nicht mehr nur um Technik, sondern um enorme Risiken, sowohl im Unternehmen als auch für die Gesellschaft.
Dr. Ralf Wintergerst:
Ein Kollege sagt immer: „There is no glory in prevention.“ Gute Prävention fällt nicht auf.
Claudia Plattner:
Das stimmt. Aber wie bei Arbeitssicherheit kann man auch Prävention feiern. Jede abgewehrte Attacke ist ein Erfolg, den man würdigen sollte. Ich rate jedem CISO, das sichtbar zu machen.
Dr. Ralf Wintergerst:
Du hast kurz nach deiner Ernennung den Begriff „Cybernation Deutschland“ geprägt. Was meinst du damit?
Claudia Plattner:
Cybersicherheit geht alle an – Behörden, Unternehmen, öffentliche Einrichtungen, Verbraucherinnen und Verbraucher. Jeder muss beitragen. Das BSI hat 1700 Mitarbeiter, wir allein können Deutschland nicht schützen. „Cybernation“ bedeutet, dass wir gemeinsam handeln, Standards setzen, Ökosysteme aufbauen, neue Technologien einsetzen und die Krisenresilienz stärken.
Dr. Ralf Wintergerst:
Digitale Souveränität ist ein großes Thema. Unternehmen fürchten Abhängigkeiten von den USA und China. Du hast gesagt, es sei unrealistisch, kurzfristig alles selbst zu machen. Wie kommen wir voran?
Claudia Plattner:
Wir werden nicht binnen kürzester Zeit alles selbst machen können, also müssen zweigleisig fahren: einerseits nationale und europäische Lösungen stärken. Andererseits wichtige Technologien sicher nutzbar machen – Cloud, Energie, Infrastruktur. Es geht um Resilienz, Standards und Absicherung. Das BSI sorgt dafür, dass externe Technologien sicher eingebunden werden können.
Dr. Ralf Wintergerst:
Genau das unterstreicht auch die Hightech-Agenda der Bundesregierung – Konzentration auf Schlüsseltechnologien, kein Gießkannenprinzip mehr.
Claudia Plattner:
Ganz genau. Wir dürfen uns keine Wege verbauen. Wir brauchen eigene Lösungen, aber auch die Fähigkeit, externe sicher einzusetzen.
Dr. Ralf Wintergerst:
Ein Einfallstor für Angriffe sind nach wie vor E-Mails. BSI, ECO und Bitkom haben 2025 zum E-Mail-Sicherheitsjahr erklärt. Was rätst du Unternehmen, Verwaltungen, Bürgerinnen und Bürgern, wenn es um sichere E-Mails geht?
Claudia Plattner:
E-Mails sind auch 2025 noch weit verbreitet, aber viele Protokolle sind Jahrzehnte alt, über Sicherheit hat man damals kaum nachgedacht. Wir fordern Firmen und Provider auf, moderne Sicherheitsstandards umzusetzen. Mit unserer „Hall of Fame“ und einem E-Mail-Checker können Nutzer prüfen, ob ihr Provider sichere Standards bietet. Ziel ist: Absender eindeutig verifizieren und Spoofing verhindern. Firmen sollten das unbedingt umsetzen. Wir freuen uns über alle, die an unserem Sicherheitsjahr teilnehmen.
Dr. Ralf Wintergerst:
Du bist auch Teil der neuen Regierungsstruktur – mit Innenministerium und dem neuen Digitalministerium. Wie fühlt sich das an?
Claudia Plattner:
Gut! Das Innenministerium bringt die Sicherheitsbrille, das Digitalministerium die Modernisierungsperspektive – die geteilte Fachaufsicht ergibt Sinn und funktioniert super. Wir brauchen beide Blickwinkel. Wichtig ist, dass das Digitalministerium genug Handlungsspielraum bekommt – das ist entscheidend für die Zukunft.
Dr. Ralf Wintergerst:
Auch das BSI soll gestärkt werden. Passiert das?
Claudia Plattner:
Wir brauchen klare Mandate, etwa für Sicherheit in der Verwaltung oder die Zusammenarbeit mit den Ländern. Ohne verbindliche Grundlagen riskieren wir große Probleme. Ein zweites „Corona“, besonders im Cyberbereich können wir uns nicht leisten.
Dr. Ralf Wintergerst:
Und die Kommunen? 11.000 verschiedene Lösungen sind schwer abzusichern.
Claudia Plattner:
Richtig. Erfolgreiche Digitalisierung erfordert auch ein Stück Zentralisierung. Beispiel: i-Kfz mit Hunderten Anwendungen. Nur ein Anbieter wäre auch schlecht, aber weniger Vielfalt wäre sicherer und effizienter. Es braucht zentrale Systeme, die Kommunen nutzen können.
Dr. Ralf Wintergerst:
Eigentlich müsste NIS 2 auch für Behörden gelten.
Claudia Plattner:
Ja, unbedingt. Das fordern wir natürlich! Ohne Ausnahmen.
Dr. Ralf Wintergerst:
Zum Schluss: Wie sieht dein Zukunftsbild 2035 aus? Was wünschst du dir für die Zusammenarbeit mit der Regierung?
Claudia Plattner:
Ich wünsche mir Deutschland als Cybernation – ein Land, das Digitalisierung sicher beherrscht. Dafür brauchen wir Mut zur Digitalisierung, eine Fehlerkultur, Investitionen und Innovation. Sicherheit und erfolgreiche Digitalisierung gehören untrennbar zusammen. Darum muss es uns gehen – und das erreichen wir nur gemeinsam.
Dr. Ralf Wintergerst:
Und persönlich: Wie hältst du deine Motivation aufrecht, auch wenn’s mal stockt?
Claudia Plattner:
Ich stehe nach Rückschlägen schnell wieder auf – wie diese Figuren, die immer zurückfedern. Energie bekomme ich durch Familie, Freunde, tolle Mitarbeiter – und manchmal durch ein stilles Stündchen beim Programmieren. Da experimentiere ich gerade viel mit KI. Das macht Spaß und motiviert.
Dr. Ralf Wintergerst:
Claudia, ich wünsche dir viel Erfolg – für dein Zukunftsbild und dass du motiviert bleibst. Wir brauchen dich. Vielen Dank!
Claudia Plattner:
Danke dir, Ralf, für die Einladung und die netten Worte.